Portrait der Walliser Sektion

Begegnung statt Bürokratie

Die Schweizergardisten der Walliser Sektion im Portrait

Über den Grenzen
Die verschiedenen Regionen der Schweiz kennen alle ihre Vereinigung ehemaliger Schweizergardisten. So auch das Wallis, wo die Sektion über 100 Mitglieder zählt, wie uns Kassier Markus Ackermann (Inden) berichtet. Die Gardisten treffen sich jährlich an Auffahrt, wobei das Oberwallis mit der Mehrheit der Mitglieder etwas öfter zum Zuge kommt. So traf sich die Walliser Sektion 1997 in Törbel, 1998 in Lalden, 1999 in Savièse, 2000 in Saas-Grund und 2001 in Varen. Die Tagung 2002 wird wieder im Unterwallis stattfinden: Vétroz, das Dorf unterhalb Sitten am nördlichen Rand der Talebene, wird die Gardisten empfangen – der Verein lebt ein unverkrampftes Zusammengehen von Ober- und Unterwallis vor; in Varen wurde deutsch, französisch und italienisch gesprochen. Bei den Gardisten dürften jene in die Lehre gehen, die uns in letzter Zeit mit (angeblich) unüberwindbaren Problemen zwischen den Sprachregionen den Teufel an die Wand malen wollen...

Rituale und Ritus
Festgesetzte Abläufe gehören zu einem Tag, der Höhepunkt des Vereinsjahrs und zahlenmässig stärkster Auftritt uniformierter Gardisten in der Öffentlichkeit ist. Gespannt verfolgt ein zahlreiches Publikum die Entwicklung des Geschehens und lässt Farben, Bewegungen und Töne auf sich einwirken. Nach neun Uhr werden aus den Zivilisten Hellebardiere und Wachtmeister, Fender und Schlagschwertträger; der Tenuwechsel ist vollzogen. Statt Boss und Levis prägen gelb, blau und rot gestreifte Uniformen die Szenerie. Noch ein Abstecher ins Café, unterwegs Hände schütteln, fröhliche Begrüssungen.
09.40 Uhr. Bruno Imstepf lässt in zwei Reihen einstehen. Waffengriffe werden geübt. «Schultern!». Der Feldweibel ist noch nicht ganz zufrieden. Es wird ein zweites Mal geübt. Ist ja auch eine Weile her – für die meisten. Hellebarden fallen krachend zurück auf den Boden.
Inzwischen hat sich auch die Dorfmusik formiert, ein Taktstock schnellt in die Höhe, ein Marsch ertönt, der Zug setzt sich in Bewegung. Knaben springen bald neben der Blechmusik, bald neben den Gardisten her, ahmen bald die Musikanten nach, versuchen bald mit dem «links, links» der Gardisten Schritt zu halten. Einzug in die Kirche, Heilige Messe, anstelle eines grossen Altars auf der ganzen Breite das farbenfrohe Erscheinungsbild der Gardisten, eine beherzte Predigt durch Pfarrer Thomas Pfarrmatter (Visp), ein schöner Gesang des Kirchenchors Varen, zum Schluss ein fibrierendes «Grosser Gott wir loben Dich». Auszug und Apéro. Hellebarden lehnen an den Wänden, Mützen ab, Gläser klingen, Wortfetzen mischen sich mit den Tönen der Musik, Zigarettenrauch, Lachen, Frühlingsluft. Unverwechselbare Feststimmung.

Kulturelles und Kulinarisches
12.30. Die Gruppenfotos sind im Kasten, die Apérogläser schon im Spültrog, die Uniformen wieder in den Autos und die Gardisten mit Frauen und Freunden an den Tischen. Als hors d'oeuvre culturel geht ein eben wiederaufgetauchtes Protokollheft in die Runde. Der erste Eintrag datiert von 1928: Am 23. September wurde in Naters die Walliser Sektion gegründet und Alexander Clausen zum ersten Präsidenten gewählt. Kassier war Alfred Imoberdorf und Aktuar Emil Biderbost; der Jahresbeitrag wurde – nach Diskussionen – auf 1 Franken festgelegt. Der letzte der Einträge stammt aus dem Jahre 1976 und betrifft die Fahnenweihe.
Weitere kulturelle Trouvaillen verkürzen uns am Tisch das Warten zwischen den kulinarischen Gängen. So outet sich der in Tirol verheiratete Franziskus Karlen, der jedes Jahr eigens zur Tagung in die Schweiz reist, als begnadeter Sammler: Anlässlich der Renovations- und Aufräumarbeiten in Rom hat er verschiedene Gegenstände gesichert: die Schultafel zum Beispiel, vor der mancher Gardist angesichts der italienischen Sprache schwitzte; den Alarmknopf, ein Objekt von hohem Symbolgehalt, das sonst den Weg alles Irdischen gegangen wäre. Grund genug, eine nächste Flasche naturnahen Varner Roten auf das Wohl des engagierten Retters zu bestellen – um so mehr, als sich jener bereiterklärt, diese und weitere Sammlungsstücke für das geplante Ausstellungszentrum der Schweizergarde (siehe unten) zur Verfügung zu stellen.

(In)formelles
Roland Walker, Präsident der Walliser Sektion, eröffnet nun eine GV, die ebenso kurz und schnittig wie der Marsch zur Kirche verläuft. Der Jahresbericht wird allen zugestellt und bedarf keines einschläfernden Vorlesens. Der Kassabericht ist so detailliert und die Zahlen so positiv, dass getrost auf Revisoren verzichtet wird. Um der political correctness die Ehre zu geben, wird im Saal dennoch gefragt, ob jemand Revisor werden möchte – die allgemeine Heiterkeit gilt als Decharge. Das Protokoll vom letztjährigen Treffen zirkuliert als Heft mit vielen Fotos vom Anlass; Erinnerungen werden wach, Kameraden erkannt, Gespräche entstehen und wer sich für die protokollarischen Punkte interessiert, findet auch diese auf einer Seite festgehalten. Wer je stundenlange Vereinsmeiereien durchgestanden hat, und wer musste das nicht schon, dem erscheint die hier vorgelebte Leichtigkeit der Italianità wie eine Offenbarung...
Anschliessend referiert Werner Bellwald (auch im Namen von Reinhard Eyer, Journalist DRS) über das Projekt «Kulturzentrum der Päpstlichen Schweizergarde» in Naters – ein umfangreiches Vorhaben zur 500. Jahrfeier der Garde im Jahre 2006, das von Gemeinde und Kulturkommission Naters getragen wird und dessen Finanzierung bereits zur Hälfte gesichert ist. Bevor uns Kaffee und Kuchen verwöhnen, ergreift Gemeindepräsident Gilbert Loretan das Wort, um Varen, ein Dorf von 660 Einwohnern, die allgemeine Situation und das neue Mehrzweckgebäude «Paleten» vorzustellen – ein archtitektonisch bemerkenswerter Bau, dessen gekonnte Konstruktion in Glas, Beton und Holz sich wohltuend von der Durchschnittlichkeit anderer Anlagen abhebt.
Zuletzt folgt der Präsident der Sektion Lemania, René Pféfferlé, der die Grüsse seiner Kameraden entbietet und sogleich vor versammeltem Saal ins Mikrophon spricht: «Dobbiamo cantare». Pféfferlé, mit seinem unübersehbaren Panamahut zum Inventar der Sittener Altstadt gehörend, hatte schon in Lalden (begleitet von Saxophonist Pius Werner) mit einem Auftritt brilliert, der beiden in einem Club ein Vertragsangebot beschert hätte. Auch heute vermengten sich die letzten Töne von Santa Lucia mit dem tosenden Applaus. Später berichtet der 76-jährige, sein Lehrer in Rom habe ihn den Schweizer Caruso genannt und mit Karriereaussichten auf die Bühne locken wollen – das habe alles nichts genützt, er sei der Garde treu geblieben, und zwar von 1949 an volle 20 Jahre und Schluss.
18.30 Uhr. Herzliche Verabschiedungen, Rückschau auf den verflossenen Tag. «Ja, hit siwer 21 gsi in Uniform, e schöne Tag.» Spätestens wieder in Vétroz 2002 – für alle Ehemaligen und die, die (In)formelles aus der Garde kennenlernen möchten...
Dr. Werner Bellwald